Tarquinia: Grabmalerei und Totenspiele

Tarquinia: Grabmalerei und Totenspiele
Tarquinia: Grabmalerei und Totenspiele
 
Sind es in Cerveteri die als Wohnhäuser gestalteten Innenräume der Grabanlagen, die uns wesentliche Aufschlüsse über die Wohnverhältnisse in Etrurien geben, so ist es die weiter nördlich gelegene Stadt Tarquinia, die uns Grabmalereien überliefert, wie sie an Zahl und Qualität in der vorrömischen Antike einzig von Ägypten übertroffen wurden. Diese Übereinstimmung mit dem Volk am Nil ist vielleicht nicht ganz zufällig, waren es doch Ägypter und Etrusker, die schon im Altertum wegen ihrer Sorgfalt allem Religiösen gegenüber gerühmt wurden.
 
Die Wandmalereien in den Gräbern von Tarquinia umfassen die Zeitspanne vom 6. bis 2. Jahrhundert v. Chr. Ihre Bedeutung liegt nicht nur in ihrer Einzigartigkeit, sondern auch in der Kraft ihrer Bemalung, für die die Pigmente aus natürlichen Farbstoffen gewonnen wurden, sowie in der Lebendigkeit der Darstellungen. Die hieratische Monumentalität der ägyptischen Malerei ist ihnen völlig fremd, dafür geben sie aber Menschen wieder, die mitten im Leben zu stehen und den Tod nicht zu scheuen scheinen. Jedenfalls ist dies der erste Eindruck des modernen Betrachters.
 
Das eindrucksvollste Beispiel für diese Lebensfreude ist das »Grab der Jagd und des Fischfangs« (Tomba della Caccia e della Pesca) aus dem späten 6. Jahrhundert v. Chr. Während im Giebel der Hauptkammer das Ehepaar lagernd beim Mahl dargestellt wird und Diener frisch erlegtes Wild herantragen, sind die Wände des Grabes illusionistisch als Meerlandschaft gestaltet: Wir sehen ein Fischerboot und darin einen Angler, rechts daneben einen Vogeljäger mit seiner Schleuder auf einem Felsen stehend. Auf einer anderen Wand des Grabes springt ein junger Mann von einem vielfarbigen Felsen ins Wasser, während ein zweiter daran emporklettert. Das ins Meer Springen ist auch auf einem Sarkophagdeckel des griechisch-unteritalischen Paestum dargestellt, wo es als symbolisches Reinigungsmotiv zur Erlangung der ewigen Glückseligkeit gedeutet wird.
 
Bei der Interpretation etruskischer Wandbilder ist es legitim und notwendig, sich die Frage nach der Herkunft der Bildmotive zu stellen; denn es hat sich gezeigt, dass diese meistens auf griechische Vorlagen - in der Regel Vasenbilder - zurückgehen. Dennoch kann ein griechisches Bildmotiv in seinem neuen Umfeld durchaus eine eigene, spezifisch etruskische Ausdeutung erfahren, so etwa im »Grab der Stiere« (Tomba dei Tori), dessen mythologisches Bild ein Randereignis aus dem Kampf um Troja wiedergibt. Geschildert wird, wie der griechische Heros Achill dem trojanischen Prinzen Troilos an einem Brunnen auflauert, um ihn anschließend im Heiligtum des Gottes ApollApoll zu töten. Diese beiden Momente des Mythos sind in dem Wandbild dargestellt, in dem der Brunnen zugleich als Altar gestaltet ist und so auf das gewaltsame Ende vorausweist. Das Motiv des nahen unaufhaltsamen Todes, der dem ahnungslosen Troilos beschiedenen ist, dürfte den Auftraggeber zur Wahl dieses Themas veranlasst haben.
 
Häufiger dargestellt sind Spiele und Wettkämpfe. Dass es hierbei nicht allein um Sieg und Preise ging, wie die etwas unglückliche Namenswahl »Grab der Olympischen Spiele« vermuten lässt, sondern vielmehr Spiele zu Ehren der Verstorbenen gemeint sind, verdeutlicht das »Grab der Priester« (Tomba degli Auguri), dessen Malereien zu den eindrucksvollsten der Etrusker zählen. Die kleine Kammer ist ringsum mit einem großen Figurenfries ausgemalt. Hier sehen wir Boxer und Ringer, letztere mit dem Siegerpreis in Form großer Metallbecken und umgeben von Schiedsrichtern beziehungsweise Helfern, wie dem Knaben, der einen Klappstuhl heranträgt. Ferner treten Tänzer und Musikanten auf; das Ganze könnte leicht und beschwingt wirken, wäre nicht in einer Ecke eine Darstellung, die in eine andere Richtung weist, die Phersu-Szene: Ein inschriftlich als Phersu bezeichneter Mann mit dunkler Maske und Spitzkappe schlägt mit einer Keule auf einen vor ihm stehenden Gefesselten ein. Dessen Kopf ist in einem Sack verhüllt, und er ist den wilden Bissen eines Hundes ausgeliefert. Diese blutige Kampfszene, für die es in Tarquinia mehrere Beispiele gibt, bildete, zusammen mit den anderen Wettkämpfen und Tänzen, einen wesentlichen Bestandteil der Totenfeiern. Sie fanden offenbar nicht nur zu Ehren der Verstorbenen statt, sondern hatten auch magische Bedeutung, wobei das Blutopfer für das Wohlergehen der Verstorbenen im Jenseits benötigt wurde. Vieles spricht dafür, dass der Ursprung des römischen Gladiatorenkampfes aus diesem Bereich der frühen italischen Leichenspiele stammt.
 
Die Figuren in dem »Grab der Priester« sind überdies mit Namen versehen, aus denen wir entnehmen können, dass es sich nicht um Familienangehörige, sondern um Funktionsträger beziehungsweise angemietete Kämpfer und Sportler handelte. So sind zwei Maskenträger, der Peiniger mit der Keule sowie ein Tänzer, als »phersu« bezeichnet, eine Bezeichnung, die über das römische Wort »persona« (= Maske) bis in die Gegenwart fortlebt.
 
Den beliebten Gelageszenen fehlt dagegen solch unheimlicher Hintergrund. Das berühmteste Beispiel überliefert das »Grab der Leoparden« (Tomba dei Leopardi). Hier lagern, den etruskischen Trink- und Esssitten gemäß, Ehepaare gemeinsam auf den Klinen (den Liegemöbeln). Es sind Mitglieder der diese Grabstätte unterhaltenden Familie, wohl Vorfahren, wie Inschriften in späteren Gräbern zeigen. Obwohl schon dem 5. Jahrhundert v. Chr. angehörend, sind die Figuren noch im archaischen Stil wiedergegeben, indem die Köpfe im Profil und die Oberkörper frontal erscheinen. Diese Darstellungsweise ist nicht ohne Ausdruckskraft, zumal sie noch durch die rege Gestik der Hände unterstrichen wird.
 
Die so heiter wirkende Darstellungswelt der archaischen Zeit wird ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. von ernsteren Bildthemen abgelöst. Jetzt ist es, wie im »Unterweltsgrab« (Tomba dell' Orco) in Tarquinia, der Tote selbst, der auf der Kline lagernd erscheint, und über ihm steht sein Lebenslauf mit den wichtigsten Daten und Ämtern. Auch treten verstärkt Todesdämonen auf, die sowohl Geleiter ins Jenseits wie auch Grabwächter sein können. Selbst die Unterwelt wird dargestellt: Im Golini-Grab von Orvieto tafelt das Götterpaar Aita und Phersipnai im Beisein der seeligen Verstorbenen, und in einer jüngeren Anlage des »Unterweltsgrabes« von Tarquinia thront dasselbe Götterpaar im Hades, umgeben von den Schatten griechischer Heroen, so wie sie in der Ilias und anderen Epen überliefert waren. Die Etrusker übernahmen die Unterwelt der Griechen, so wie das ja auch die Römer taten.
 
Schließlich sind noch zwei Bildthemen zu erwähnen, die in der Spätzeit der etruskischen Kultur zunehmend an Bedeutung gewannen: der Abschied von der Familie und die Totenprozession zum Grab. Wiederum zeigt sich eine Gewichtsverschiebung gegenüber der Frühzeit: Nicht die Opfer und Feierlichkeiten zu Ehren des - unsichtbaren - Verstorbenen stehen im Mittelpunkt, sondern der Verstorbene selbst in seinem Abschiedsschmerz, wobei aber auch sein soziales Prestige betont wird, das in den prunkvollen Aufzügen der Totenprozessionen, mit Musikanten, Magistraten und den Hinterbliebenen, öffentlich zur Schau gestellt wird. Hier finden wir Vorstellungen vor, die auch aus den Bestattungssitten der Römer überliefert sind und in Darstellungen wie den Prozessionen der Ara Pacis, des von Kaiser Augustus errichteten Friedensaltars in Rom, weiterleben.
 
Prof. Dr. Friedhelm Prayon
 
 
Die Etrusker. Kunst und Geschichte, bearbeitet von Maja Sprenger. Aufnahmen von Max und Albert Hirmer. München 1977.
 
Die Etrusker, Texte von Mauro Cristofani u. a. Sonderausgabe Stuttgart u. a. 1995.
 Pallottino, Massimo: Etruskologie. Geschichte und Kultur der Etrusker. Aus dem Italienischen von Stephan Steingräber. Basel u. a. 1988.
 Prayon, Friedhelm: Die Etrusker. Geschichte, Religion, Kunst. München 1996.
 Steingräber, Stephan: Etrurien. Städte, Heiligtümer, Nekropolen. München 1981.

Universal-Lexikon. 2012.

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